Das Filmdienst Magazin bringt meinen Artikel über das DOC-Festival 2012

Über den israelischen Dokumentaristen Eyal Sivan, seine Filme und seine Ansichten zur aktuellen Politik Israels

Sivan hat eine Masterclass abgehalten und ist sehr intensiv auf seine Vorgehensweise eingegangen: wie er mit Geschichte im Film umgeht, welche Bedeutung die Zeit spielt und wie seine Themen immer wieder beurteilt werden.

Revision von Geschichte
Eyal Sivan: Ein Filmemacher, der die Welt zu ändern glaubt

Thessaloniki, März 2012. Die Krise im Land ist an einem weiteren Höhepunkt angelangt. Die Kulturlandschaft leidet wie nie zuvor, und das 14. Dokumentarfilmfestival kann nur stattfinden, weil es von europäischen Förderprogrammen finanziert wird. Somit fiel die Crew der Auslandsjournalisten dieses Mal sehr klein aus – und diese sollte dann auch bitte darüber berichten, warum in den Momenten der Not es eben wichtig ist, Dokumentarfilme zu präsentieren. So weit so gut. Doch dass ausgerechnet dem israelischen Filmemacher Eyal Sivan eine Hommage angeboten wurde, in einer Zeit, in der Israel so heftig in der öffentlichen Kritik steht, das war eine ebenso mutige wie ehrenvolle Entscheidung von Festivaldirektor Dimitri Eipides. Eyal Sivan steht wegen seiner individuellen Art, mit Dokumentation und Geschichte umzugehen, bei vielen seiner Landsleute unter Kritik.

„Ein Doku ist eine Sichtweise, ein Vorschlag, Geschichte aus einer Perspektive zu betrachten, wie wir es nicht gewohnt sind, sie zu sehen. Was ich versuche zu machen, das sind Vorschläge, mit Geschichte umzugehen, die sich komplett gegen das traditionelle Muster der Geschichtserzählung richten“, erklärte Sivan einigen jungen griechischen Filmstudenten, die ihm mit Spannung zuhörten. Dabei hatte der einst professionelle Fotograf Sivan selbst in seinem ersten Film „Passing Through“ (1987) die traditionelle Dokumentarfilmweise adaptiert. Er drehte den Alltag von palästinensischen Flüchtlingen in einem Lager am Toten Meer, nur wenige Kilometer östlich von Jerusalem. Er, der Jude, wollte den Israelis zeigen, was sie nicht sehen wollten, und dabei sollte es am liebsten so aussehen, als wäre überhaupt keine Kamera anwesend. Das, was er anders machen wollte, nämlich das Machtverhältnis zwischen Starken und Schwachen zu brechen, funktionierte nicht: Er blieb auch weiterhin der Israeli, der zu den Flüchtlingen kam, die alle sozial niedriger standen als er selbst. Und er war derjenige, der ihnen ermöglichte, etwas über sich der Welt mitzuteilen.

„Das war das erste und letzte Mal, dass ich so mit der Kamera umging. Ich fing an, die Kamera zu drehen. Sie sollte nicht das Instrument werden, um die Schwachen abzulichten. Sie sollte so benutzt werden, dass die Macht manifestiert wird. Es sollten also nicht mehr jene gezeigt werden, die niedriger, sondern jene, die auf der gleichen Ebene waren wie ich“, soll Sivan später über seinen Film gesagt haben. 1990 entstand sein zweiter Film „Slaves of Memory“. Sivan filmte den Werdegang von israelischen Kindern vom Kindergarten bis zum Augenblick, in dem sie in die Armee eingezogen werden. Er versteht diesen Moment als klaren Rachezug gegen sein eigenes Erziehungssystem. Als Kind immigrierter Juden aus Südamerika wehrt er sich gegen die zionistische Haltung seiner Eltern und verweigert eine Einmusterung in die israelische Armee. Mit „Slaves of Memory“ fordert er Lehrer heraus, ficht das israelische System als solches an. Dafür, dass er Geschichten anders erzählt, wird er später als Systemfeind und Krimineller bezeichnet und erhält immer wieder Drohungen. Doch die Möglichkeit zu haben, Kritik zu üben, und es dann nicht zu tun, das grenzt für Sivan an Kollaboration, weshalb er vielen seiner israelischen Kollegen auch kritisch gegenübersteht. Er selbst will durchaus politische Verantwortung übernehmen, indem er mit der israelischen Opferhaltung bricht. Wenn Foucault behauptete, Politik sei die Arbeit mit Wörtern, dann ist für Sivan Politik die Arbeit mit Bildern. Ein politischer israelischer Dokumentarist will Eyal Sivan ebenso sein wie ein historischer Revisionist, der mit Erinnerung anders umgeht: „Wenn Israel als Staat den Staat des Erinnerns darstellt, dann hat es gänzlich die Existenz der homogenen palästinensischen Gesellschaft ignoriert. Die Erinnerung der Zionisten steht somit konträr zur Erinnerung der Palästinenser“, verteidigt Sivan seinen Umgang mit Geschichte und betont, dass Erinnerung auch als Werkzeug zur Vernichtung benutzt werden kann. Aus der Position des Opfers lässt sich Erinnerung leicht als Waffe einsetzen. „Slaves of Memory“ hat Sivan gedreht, weil kurz nach der ersten „Stein-Intifada“ zwischen Israelis und Palästinensern die Frage bei den Menschen aufkam: Wie kann ein Volk, das so viel gelitten hat, anderen so viel Leid antun? Sivan hat dazu nur eine Antwort: „Vielleicht weil sie so viel gelitten haben.“

Geschichte anders betrachtet hat er ebenfalls in „Der Spezialist“ (1999), der ihm internationale Anerkennung brachte. Sivan bearbeitete dabei 360 Stunden Originalaufnahmen des Adolf-Eichmanns-Prozesses in Jerusalem aus dem Jahr 1961 auf. Zum ersten Mal wird ein Täter des Zweiten Weltkriegs der Menschlichkeit verdächtigt. Weil er ja nur legalen Befehlen gehorchte, war er schuldig. Ist ein guter Mensch demnach nur derjenige, der Gesetzen und Befehlen nicht gehorcht? Es waren solche Widersprüche, die Sivan in seiner Arbeit beschäftigten. Er sucht den Bruch mit den klassischen Traditionen des Dokumentarfilms, der immer nur den Anspruch erhebt, Opfer zu dokumentieren. Wer waren die Täter? Aus welcher Motivation handelten sie? „Der Spezialist“ wurde ein Film über Verantwortung und Bewusstwerdung. Es war kein klassischer „Holocaust-Film“ (weshalb er nur schwer finanziert werden konnte), vielmehr ein Film über einen Bürokraten, einen modernen Kriminellen, einen Menschen, der hinter seinem Schreibtisch saß und Befehlen gehorchte, die erst am Ende der Befehlskette zu Verbrechen wurden. „Aber was Eichmann tat“, sagt Sivan, „das war normal.“ Der Filmemacher gestaltete den Psychopathen um zu einem Normalen. Von einem Skandal will Sivan freilich nichts hören. Er mag in seiner Arbeit nicht fragen, was erlaubt ist und was nicht. Es ist genau das, was ihn bei der Arbeit mit politischen Themen antreibt. Dabei betont er immer wieder, dass er Bilder durchaus manipuliere. Es ist die Definition seiner Arbeit. Und der Bruch mit der Geschichte. Vielleicht sogar der christlichen, die laut Sivan, „uns lehrt Opfer zu sehr zu lieben und Juden an der Wand hängen zu sehen“.       Marianthi Milona

DE_1337750650.pdf

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